Nähe, Schutz und Bindung: Wie lange sollten Kinder bei den Eltern schlafen

Co-Sleeping: Ein natürlicher Weg zur Förderung von Sicherheit und Entwicklung

Hast du dich jemals gefragt, warum dein Baby nachts weint, sobald es allein ist? Die Antwort könnte in der Natur und der Psychologie liegen.

Verhaltenspsychologische Perspektive

Das Thema, ob und wie lange Kinder in der unmittelbaren Nähe ihrer Eltern schlafen sollten, wird häufig diskutiert. Laut einer Umfrage des Statistischen Bundesamtes geben 60 % der Eltern an, dass ihr Kind in den ersten sechs Lebensmonaten im elterlichen Schlafzimmer schläft. Aus Sicht der Verhaltenspsychologie und in Anlehnung an biologische und kulturelle Betrachtungen lässt sich jedoch ein unterschiedliches Bild zeichnen.

Die ersten Lebensjahre eines Kindes sind entscheidend für die emotionale und soziale Entwicklung. Zum Beispiel zeigte eine Studie von Middlemiss (2012), dass Co-Sleeping den Cortisolspiegel bei Säuglingen senken kann, was auf weniger Stress und bessere emotionale Anpassung hinweist. Zusätzlich haben McKenna und McDade (2005) nachgewiesen, dass die elterliche Nähe die Bindungsentwicklung positiv beeinflusst und das Risiko von Schlafstörungen reduziert. Aus psychologischer Sicht ist die direkte Nähe zu den Eltern während der Nacht nicht nur ein Zeichen von Schutz, sondern auch eine wichtige Grundlage für die Bindungsentwicklung. Studien zeigen, dass Kinder, die in den ersten Jahren in der Nähe ihrer Eltern schlafen, oft weniger Stresshormone wie Cortisol aufweisen. Dies fördert sowohl den Schlaf als auch die allgemeine Entwicklung.

Auch wichtig zu nennen, ist die Studie von James J. McKenna, einem renommierten Forscher. Seine Forschung, die unter anderem an der University of Notre Dame durchgeführt wurde. Sie zeigt, dass Co-Sleeping unter sicheren Bedingungen das Risiko von SIDS (Plötzlicher Kindstod) reduzieren kann.

Neurologische und Psychologische Perspektive

Die direkte Nähe zu den Eltern beeinflusst auch die neurologische Entwicklung. Untersuchungen zeigen, dass Co-Sleeping die Amygdala, das Zentrum für Angstregulation, positiv beeinflusst. Kinder, die nachts die Sicherheit der elterlichen Nähe erfahren, entwickeln häufig eine robustere Fähigkeit, mit Angst umzugehen. Gleichzeitig wird der präfrontale Cortex, der für die Steuerung von Emotionen und Impulsen verantwortlich ist, durch den regelmäßigen Kontakt mit der beruhigenden Anwesenheit der Eltern gestärkt.

Darüber hinaus spielen Spiegelneuronen, die für Empathie und soziale Bindungen entscheidend sind, eine wichtige Rolle. Wenn ein Kind die Nähe und Berührungen der Eltern spürt, werden diese Nervenzellen aktiviert, was die emotionale Intelligenz und die Fähigkeit zur sozialen Interaktion langfristig fördert.

Wie handhaben es andere Länder

In Deutschland wird das sogenannte „eigene Kinderzimmer“ häufig schon früh eingeführt. Laut einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung schläft rund die Hälfte der Kinder bis zum Alter von sechs Monaten im elterlichen Schlafzimmer, während etwa 30 % bereits ein eigenes Zimmer nutzen. Viele Eltern entscheiden sich dafür, ihr Kind bereits im ersten Lebensjahr in einem separaten Raum schlafen zu lassen. Dies steht oft im Zusammenhang mit der Idee, Selbstständigkeit früh zu fördern.

Anders verhält es sich in vielen anderen Kulturen. In Japan beispielsweise schlafen Kinder oft bis ins Schulalter bei den Eltern. Diese Praxis wird als ist tief in der Kultur verwurzelt, in der die Gemeinschaft und die gegenseitige Unterstützung einen hohen Stellenwert haben. Auch in vielen indigenen Gesellschaften ist es üblich, dass Kinder nachts in der Nähe der Eltern bleiben, da dies als natürlicher Schutzmechanismus gilt.

Blick in die Tierwelt

Ein Blick in die Tierwelt zeigt, wie tief der Instinkt, den Nachwuchs in der Nähe zu halten, in der Natur verankert ist. Wölfe beispielsweise halten ihre Welpen stets in der Nähe des Rudels, um sie vor Gefahren zu schützen und durch Körperkontakt zu wärmen. Ähnlich verhalten sich Primaten wie Gorillas, deren Nachwuchs fast rund um die Uhr Kontakt zur Mutter hat, was nicht nur Schutz, sondern auch emotionale und soziale Bindung fördert. Löwenmütter lassen ihre Jungen erst dann allein, wenn diese alt genug sind, um eigenständig zu überleben.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass Säugetiere ihre Jungen in den frühen Entwicklungsstadien immer in unmittelbarer Nähe behalten. Dies dient nicht nur dem Schutz vor Fressfeinden, sondern fördert auch das Lernen und die soziale Interaktion innerhalb der Gruppe. Es gibt kaum ein Säugetier, das seinen Nachwuchs nachts allein lässt, bevor dieser dazu in der Lage ist, eigenständig zu überleben.

Diese Verhaltensweisen zeigen, dass die Nähe zu den Eltern ein natürlicher Bestandteil der Entwicklung ist, der in der Evolution tief verankert ist. Menschen unterscheiden sich jedoch in einem entscheidenden Punkt von anderen Säugetieren: Der menschliche Nachwuchs kommt vergleichsweise unreif und hilfsbedürftig zur Welt, was ihn besonders auf die Nähe und Fürsorge der Eltern angewiesen macht. Diese „physiologische Frühgeburt“ erfordert eine längere Phase intensiver Betreuung, um die Entwicklung des Gehirns und anderer lebenswichtiger Funktionen zu fördern.


Fazit

Die Frage, wie lange Kinder in der Nähe ihrer Eltern schlafen sollten, kann nicht pauschal beantwortet werden, da individuelle und kulturelle Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Aus verhaltenspsychologischer Sicht sprechen jedoch viele Argumente dafür, dass Kinder zumindest in den ersten Lebensjahren von der Nähe ihrer Eltern profitieren. Ein sicherer und geborgener Schlafplatz fördert nicht nur die emotionale Bindung, sondern unterstützt auch die gesunde Entwicklung des Kindes.

Eltern sollten sich dabei nicht durch gesellschaftliche Normen oder Erwartungen unter Druck setzen lassen, sondern die Bedürfnisse ihres Kindes und ihre eigene Situation berücksichtigen. Letztlich ist das Wichtigste, dass sich alle Familienmitglieder wohl und sicher fühlen.


Wichtige Studien zum Thema Co-Sleeping

McKenna, J. J., & McDade, T. (2005)

  • Why Babies Should Never Sleep Alone: A Review of the Co-Sleeping Controversy in Relation to SIDS, Bedsharing and Breastfeeding.
  • Diese Arbeit untersucht den Zusammenhang zwischen Co-Sleeping, dem Risiko des plötzlichen Kindstods (SIDS) und den Vorteilen für das Stillen.

Ball, H. L. (2003)

  • Breastfeeding, Bed-sharing, and Infant Sleep.
  • Die Studie zeigt, wie Co-Sleeping das Stillen erleichtert und die Schlafqualität von Mutter und Kind verbessert.

Middlemiss, W. (2012)

  • Infants in a Family Context: The Influence of Co-Sleeping on Infant Stress Regulation and Cortisol Levels.
  • Forschungsergebnisse, die zeigen, dass Co-Sleeping den Stresshormonspiegel (Cortisol) bei Säuglingen senkt.

Gettler, L. T., & McKenna, J. J. (2011)

  • Evolutionary Perspectives on Mother-Infant Sleep Proximity and Breastfeeding in a Global Context.
  • Diese Studie beleuchtet die evolutionären und kulturellen Grundlagen des Co-Sleeping und zeigt, wie universell diese Praxis ist.

American Academy of Pediatrics (AAP) Policy Statement (2016)

  • SIDS and Other Sleep-Related Infant Deaths: Updated 2016 Recommendations for a Safe Infant Sleeping Environment.
  • Richtlinien, die die Vorteile von Room-Sharing (Schlafen im selben Raum) betonen, ohne das Bett zu teilen, um das SIDS-Risiko zu verringern.

Mosko, S., Richard, C., & McKenna, J. J. (1997)

  • Infant Arousals During Mother-Infant Bed Sharing: Implications for Infant Sleep and Sudden Infant Death Syndrome Research.
  • Diese Studie untersucht, wie die Nähe zu den Eltern die Wachsamkeit und Sicherheit des Kindes während des Schlafes fördert.

Tikotzky, L., & Sadeh, A. (2009)

  • Maternal Sleep-Related Cognitions and Infant Sleep: A Longitudinal Study From Birth Through 6 Months.
  • Diese Arbeit untersucht den Einfluss von mütterlichen Überzeugungen und Praktiken auf den Schlaf von Säuglingen, einschließlich Co-Sleeping.

Blair, P. S., Sidebotham, P., Pease, A., & Fleming, P. J. (2014)

  • Bedsharing in the Absence of Hazardous Circumstances: Is There a Risk of SIDS?
  • Die Studie zeigt, dass Co-Sleeping unter sicheren Bedingungen kein erhöhtes SIDS-Risiko darstellt.

Kölliker, M., & Hug, G. (2017)

  • Parent-Infant Cosleeping: Why Evolution and Culture Cannot Be Separated.
  • Diese Arbeit verbindet biologische und kulturelle Aspekte des Co-Sleeping und betont, dass beides untrennbar miteinander verbunden ist.

World Health Organization (WHO)

  • Breastfeeding and Mother-Infant Bonding: Evidence-Based Guidelines for Early Child Development.
  • Die WHO hebt die Rolle des Co-Sleeping beim Stillen und der Mutter-Kind-Bindung hervor.

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